Donnerstag, 26. Juni 2014

Erinnerungen an Casey Kasem



Am 15. Juni 2014 verstarb der Radiomoderator Casey Kasem in Gig Harbor, Washington. Ich wollte diesen Radioblog  nicht mit einem Nachruf starten, so dass dieser ein wenig spät kommt. Aber Casey Kasem gehört zu meiner privaten Radiogeschichte, so dass es auch wieder passt über diesen Blick auf eine interessante Radiopersönlichkeit zurück in die Geschichte des Radios zu gehen:

Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts gab es in Bayern gerade mal zwei UKW-Programme: Bayern 1 und Bayern 2. Die Servicewelle Bayern 3 war kurz vor dem Start, und es gab viele weitere Radiosender auf Mittel- und Kurzwelle.
Die US-Streitkräfte hatten mit dem AFN ihr eigenes Radio dabei. "American Forces Network" sendete damals auch noch auf der Mittelwelle, UKW kam erst viel später.

Der Bayerische Rundfunk sendete damals neben ausführlichen Wortbeiträgen vor allem bayerische Volksmusik und deutsche Schlager, dazu ganz wenig "Beatmusik", wie es damals hieß. Englischsprachige Musik lief meistens im Jugendfunk, das war vor allem der "Club 16" auf Bayern 2. Die Moderatoren pflegten den langsamen und gemütlichen Plauderton, damit die Hörer auch verstanden, was die Moderatoren sprachen. Musiktitel wurden noch mit einer kleinen Pause zwischen Wort und Musik angesagt, damit die Hörer ihre Tonbandgeräte einschalten und mitschneiden konnten - in heutigen Zeiten, da die Industrie überall Raubkopierer vermutet, undenkbar.

AFN war das genaue Gegenteil davon: Die Moderation nahm den Drive der Musik auf, brachte Informationen rasch auf den Punkt und schon spielte der nächste Musiktitel und der Moderator quatschte auch in den Titel hinein. Ramptalk war für den Tonbandfan von damals der absolute Horror. Für die junge Generation von heute, die mit Privatradios aufgewachsen ist, mag das inzwischen eine normale Hörsituation sein. In den späten Sechzigern und frühen Siebzigern war das dagegen noch etwas ganz Besonderes.

Die wichtigste Sendung für Pop- und Rock begeisterte Jugendliche war Casey Kasems "American Top 40". Rund 24 Jahre lang moderierte Kasem den berühmtesten Countdown der Welt im US-Soldatensender AFN. Zu den Fans der dreistündigen Sendung gehörten neben den US-Soldaten auch viele Deutsche. Der Moderator brachte uns das modernste und angesagteste der US-Charts direkt ins Wohnzimmer. Das waren nicht nur amerikanische, sondern oft auch britische Titel, die über diesen Umweg nach Deutschland kamen.

Neil Young, Lobo, Ten Years After, Carly Simon und viele andere erreichten auf diesem Wege zum ersten Mal ihre deutschen Hörer und Plattenkäufer. Ich weiß nicht mehr wie viele meiner Erstbegegnungen mit den Stimmen späterer Superstars über Casey Kasem und seine AT40 liefen, aber es waren viele, sehr viele.

Aus heutiger Sicht mag Casey Kasem ein typischer Hitparaden-Moderator gewesen sein, doch seine Ansagen erschöpften sich nicht nur auf Titel, Interpret und Platzierung. Wir Hörer erfuhren biografisches zu den Musikern, auch Klatsch und Tratsch, so dass es neben der Musik vor allem die Persönlichkeit Kasems gewesen war, die Unterhaltung garantierte. Dabei setzte er seine Stimme wie ein Musiker oder ein Schauspieler ein: Schnell und dynamisch, wenn es um die Chartplatzierung eines Songs ging, dann wieder leise und getragen, wenn ernste oder romantische Themen angesagt waren. Er klang in jeder Hinsicht menschlich und die 20 Millionen Hörer fühlten sich automatisch mit ihm verbunden. Kult war natürlich auch jener Satz, mit dem er seine Radiosendungen stets beendete: „Keep your feet on the ground and keep reaching for the stars“.

Casey Kasem ist tot, aber seine Stimme ist dennoch nicht erloschen: Die aufwändig digitalisierten Bänder der Sendung werden immer noch von vielen Sendern ausgestrahlt. Von Juli 2012 bis zur Programmumstellung sendete der Berlin-Brandenburger Sender radio B2 die Originalshows jeweils in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Inzwischen laufen auf diesem Programmplatz aber deutsche Schlager.  Auch auf der offiziellen Webseite der Sendung wird an ihn mit Bildern und Audios erinnert. Außerdem gibt es viele der Sendungen auf YouTube, so wie diese hier:



Foto ganz oben: Screenshot www.at40.com - Photos courtesy of the Pete Battistini Collection

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