Samstag, 18. Juli 2015

DAB plus in Europa

Hörfunkexperten diskutieren über Umstiegs-Kriterien und wagen dabei einen Blick in ihre Nachbarländer


Wer soll für den Umstieg von UKW auf Digitalradio zahlen? Braucht es einen Abschalttermin für UKW oder müssen vielmehr bestimmte Kriterien erfüllt sein, um abschalten zu können? Und braucht man Digitalradio wirklich? Was sind eigentlich die Vorteile für den Hörer, was wären mögliche Alternativen? Und kann Deutschland von den Erfahrungen anderer europäischer Länder profitieren?

Diese und andere Fragen diskutierten Radioexperten aus Deutschland, Großbritannien, Luxemburg, Österreich und der Schweiz bei der Tagung DAB+ in Europa: Vom Einstieg zum Umstieg, zu der die Medienanstalten unter Federführung der saarländischen Medienanstalt LMS und mit Unterstützung der Vertretung des Saarlandes beim Bund eingeladen hatten.

Gastgeber Jürgen Lennartz, Chef der Staatskanzlei und Bevollmächtigter des Saarlandes beim Bund, verwies auf die Vorteile von DAB+. Jochen Fasco, stellvertretender Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten und Direktor der TLM, betonte, dass die DLM sich klar zu DAB+ und somit für einen eigenen Übertragungsweg für das Radio bekenne. Da Hörfunk insbesondere von der regionalen Vielfalt lebe, sei es wichtig, beim Umstieg auch lokale und nicht-kommerzielle Anbieter zu berücksichtigen.
Einen Blick auf EU-bezogene Aspekte des Themas warf Dr. Gerd Bauer, Direktor der LMS: „Die Entwicklungen in den europäischen Nachbarländern zeigen, dass ein reines Marktmodell nicht zu einem erfolgreichen Umstieg auf den digitalen terrestrischen Hörfunk führen wird, sondern nur eine Verbindung von Marktentwicklungen mit effektiven regulatorischen Steuerungsmaßnahmen, die in einem gewissen Mindestumfang auch EU-weit harmonisiert sind.“ Er plädierte weiterhin dafür, dass Hörfunk in der Gesetzgebung als eigenständiges Medium betrachtet und nicht wie z. B. in der AVMD-Richtlinie ausgeklammert werden sollte.
Die Position des Verbands der Automobilindustrie (VDA) stellte Dr. Volker Schott heraus. Er betonte, dass die Automobilindustrie in DAB einen sehr guten Weg sehe, um die Basisversorgung der Autofahrer mit Verkehrsinformationen in der breiten Masse zu gewährleisten. Die Internet-basierte Versorgung sei hierzu eine optionale Ergänzung. Sie liefere kostenpflichtig hochwertige, individualisierte Informationen für diejenigen Autofahrer, die dies über die DAB-basierte Grundversorgung hinaus wünschen.

Tu felix digital Austria?
Die Situation in Österreich, wo derzeit ein Testbetrieb für DAB+ in Wien läuft, schilderte Dr. Florian Philapitsch, stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Medienbehörde KommAustria: „Die Diskussion um eine Einführung von DAB+ wird auch in Österreich nicht anders geführt, als in anderen Ländern. Da sind die einen, die darin eine Zukunft für das Radio sehen, und die anderen, die auf Basis von UKW so erfolgreich sind, dass sie sich keine andere Zukunft wünschen. Ob DAB+ ein Erfolg wird, entscheiden letztlich die Konsumenten. Dafür müssen sie das neue Angebot aber erst einmal kennenlernen. Das wollen wir als Medienbehörde den Hörerinnen und Hörern mit einer Ausschreibung für einen nationalen Digitalradio-Multiplex im Jahr 2017 ermöglichen.“

Kritisch zur Einführung von DAB+ äußerte sich Albert Malli, stellvertretender Senderchef Hitradio Ö3, das sich wie der gesamte ORF nicht am Testbetrieb beteiligt: „Wäre das Radio 2015 erfunden worden, würden wir uns heute für DAB und nicht für UKW entscheiden. Die Stärke von DAB ist ja, dass in Summe mehr Programme ausgestrahlt werden können. Da aber nun schon 15,5 Millionen Radiogeräte in Österreich in Verwendung sind, ist der Umstieg nicht ohne weiteres zu schaffen. Pro Haushalt gibt es 5,5 Radiogeräte: im Auto, im Bad, im Kinderzimmer. Niemand ist bereit, all diese Geräte zu tauschen. Daher lassen wir uns auch von der Behörde nicht zu einem raschen Umstieg drängen. Man ist gut beraten, UKW möglichst lange und glücklich laufen zu lassen.“

Digitale Migration – Schweizer digitale Konsenskultur?
Ganz anders sieht die Situation in der Schweiz aus, die bei einer technischen Reichweite von 99% der Bevölkerung und über 2 Millionen verkauften DAB+ Geräten bereits mitten im Umstieg steht. Ein Grund für diese Vorreiterrolle ist lautDr. Marion Weichelt, Gesandte und Geschäftsträgerin a. i. der Schweizerischen Botschaft in Deutschland, das mutige und frühzeitige politische Signal, UKW nicht weiterverfolgen zu wollen. Ob ein technologischer Umbruch als Chance oder Krise wahrgenommen werde, sei abhängig von Geschäftsmodellen der unterschiedlichen Akteure ebenso wie von regulatorischen Rahmenbedingungen.

Und auch für Jürg Bachmann, Präsident des Verbandes Schweizer Digitalradios, und Marcel Regnotto, stellvertretender Abteilungsleiter Medien und Leiter der Sektion Grundlagen Medien des BAKOM, ist klar: „DAB+ wird nur Erfolg haben, wenn sich der öffentlich-rechtliche und der private Rundfunk zusammen mit dem Regulator in einer gemeinsamen Roadmap gezielt dafür einsetzen.“

Großbritannien: Auf der Suche nach Lösungen für kleine Radiostationen

Auch in Großbritannien ist Digitalradio über DAB bereits gut etabliert. Hier ist man auf der Suche nach praktikablen und bezahlbaren Lösungen für kleine lokale Radiosender. „DAB ist für nationale und regionale Radiostationen erfolgreich, aber diese Technologie ist für kleine Stationen zu teuer und nicht flexibel genug“, so Peter Davies, Director of Content Policy der britischen Regulierungsbehörde OFCOM. „Die OFCOM führt derzeit Tests durch, die es auch den kleinen Sendern ermöglichen sollen, kostengünstig und flexibel an der Digitalisierung teilzunehmen.

Die Thematik wurde in zwei Podiumsdiskussionen, „Auf dem Weg zu einer deutschen Roadmap für Digitalradio“ bzw. „Europäische Erfahrungen und deutsche Debatte – Konvergenz oder Konflikt?“, vertieft. Insbesondere wurden die Rolle von Gesetzgeber und Landesmedienanstalten, die Anforderungen der KEF und das Zusammenspiel öffentlich-rechtlicher und privater Veranstalter, der Mehrwert von DAB+, Bedenken gegen bzw. eventuelle Alternativen zu diesem Standard, Umstiegskriterien sowie mögliche Abschaltszenarien diskutiert. Es beteiligten sich Martin Deitenbeck, Geschäftsführer der SLM, Dr. Norbert Holzer, Mitglied der KEF, Rainer Kampmann, stellvertretender Intendant und Verwaltungs- und Betriebsdirektor des Deutschlandradios, und Willi Schreiner, Geschäftsführer der DRD Digitalradio Deutschland GmbH, bzw. Prof. Dr. Mark Cole, Professor für Medien- und Telekommunikationsrecht an der Universität Luxemburg und wissenschaftlicher Direktor des EMR, Saarbrücken, Dr. Ulrich Liebenow, Leiter der ARD AG Digitalradio, sowie Klaus Schunk, Vorsitzender des Fachbereichs Radio und Audiodienste im VPRT.

Durch die Veranstaltung führte Steffen Grimberg, Journalist und Referent für den Grimme-Preis, Bereich Mediendiskurs am Grimme-Institut.


Quelle: Pressemeldung "Die Medienanstalten" vom 17.7.2015

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